Was kann ich realistischerweise von einer Betreuungskraft während des Tages erwarten? Diese Frage beschäftigt viele Angehörige, die sich um die Versorgung eines älteren Familienmitglieds Gedanken machen. In einem Land wie Deutschland, dessen Bevölkerungsstruktur sich zunehmend in Richtung einer älteren Gesellschaft verschiebt, wird die häusliche wie auch institutionelle Pflege zu einer zentralen gesellschaftlichen Herausforderung. Mit steigender Lebenserwartung wächst nicht nur der Bedarf an Pflegekräften, sondern auch das Bedürfnis nach Transparenz, Vertrauen und verlässlichen Informationen über die tatsächlichen Aufgaben, Belastungen und Möglichkeiten im Alltag einer sogenannten 24-Stunden-Betreuung.
Pflegende Angehörige stehen oft unter erheblichem emotionalem wie organisatorischem Druck. Auch viele Seniorinnen und Senioren selbst blicken mit Sorge auf den Moment, ab dem sie im Alltag auf Hilfe angewiesen sind. Die Entscheidung für eine Betreuungskraft im eigenen Zuhause oder für einen Umzug in eine betreute Einrichtung ist nicht leicht. Umso wichtiger ist ein realistisches Bild davon, was eine Betreuungskraft leisten kann – und darf – und wie sich ihr Alltag tatsächlich gestaltet.
Pflege in Deutschland: Gesellschaftlicher Rahmen und gesetzliche Grundlagen
Demografischer Wandel und steigender Pflegebedarf
Deutschland steht, ähnlich wie viele andere europäische Länder, vor einer rasch alternden Bevölkerung. Schon heute sind etwa 23 % der Menschen älter als 65 Jahre – Tendenz steigend. Laut dem Statistischen Bundesamt wird bis 2035 jeder dritte Bürger über 60 sein. Dies bedeutet eine immense Herausforderung für die Pflegeinfrastruktur.
Gleichzeitig wünschen sich viele ältere Menschen, so lange wie möglich in ihrer vertrauten Umgebung leben zu können. Die häusliche Pflege, insbesondere durch sogenannte 24-Stunden-Betreuungskräfte, ist daher für viele Familien eine bevorzugte Alternative zum Pflegeheim.
Rechtlicher Rahmen: Was ist erlaubt?
Die Begrifflichkeit „24-Stunden-Betreuung“ ist irreführend, denn arbeitsrechtlich ist eine durchgehende Verfügbarkeit nicht zulässig. Betreuungskräfte – zumeist aus osteuropäischen Ländern – arbeiten häufig auf Basis des Entsendemodells oder sind als Selbständige tätig. Wichtig zu wissen ist:
- Betreuungskräfte dürfen keine medizinischen, sondern nur grundpflegerische und hauswirtschaftliche Tätigkeiten übernehmen.
- Nach deutschem Arbeitszeitgesetz sind maximal 8 Stunden tägliche Arbeitszeit erlaubt, mit Ausnahmen bis zu 10 Stunden.
- Eine ständige Rufbereitschaft, wie sie in manchen Situationen notwendig scheint, muss gesondert geregelt und vergütet werden.
- Die Verantwortung für die medizinische Versorgung liegt bei ambulanten Pflegediensten oder ärztlichem Fachpersonal.
Zur finanziellen Entlastung können Betroffene Leistungen aus der Pflegeversicherung beantragen. Dazu zählen:
- Pflegegeld: Eine monatliche Geldleistung für pflegende Angehörige oder zur freien Verfügung, abhängig vom Pflegegrad.
- Pflegesachleistungen: Finanzierung eines ambulanten Pflegedienstes.
- Verhinderungspflege: Entlastung pflegender Angehöriger bei Krankheit oder Urlaub.
- Steuerliche Absetzbarkeit haushaltsnaher Dienstleistungen.
*„Viele Familien wissen gar nicht, welche finanziellen Hilfen ihnen zustehen. Eine Pflegeberatung bei der Krankenkasse oder Kommune kann entscheidend zur Entlastung beitragen“* – erläutert Dr. Eva Schweitzer, Pflegeberaterin und Sozialwissenschaftlerin in Berlin.
Ein typischer Tagesablauf: Struktur und Realität im Alltag
Wie sieht der Alltag einer häuslichen Betreuungskraft konkret aus? Welche Aufgaben erfüllt sie – und was kann sie realistisch nicht leisten?
Der nachfolgende Tagesverlauf basiert auf zahlreichen Erfahrungswerten von Betreuungskräften sowie den Berichten von Angehörigen und Kundinnen.
06:30 – 08:00 Uhr: Tagesbeginn und Morgenrituale
Der Tag beginnt meist mit dem Wecken der pflegebedürftigen Person. Je nach Mobilität erfolgt dabei Hilfe beim Aufstehen, Waschen, Ankleiden und – falls erforderlich – beim Toilettengang. Auch die Einnahme von Medikamenten wird – sofern vorportioniert – überwacht.
Anschließend bereitet die Betreuungskraft das Frühstück vor. Viele Seniorinnen und Senioren haben feste Routinen, die beachtet und respektiert werden sollten.
*„In der Begleitung älterer Menschen steckt viel zwischenmenschliche Arbeit – Zuhören, Achtsamkeit und Geduld sind zentrale Kompetenzen“* – sagt Birgit Neuhaus, Gerontologin und Leiterin eines Fortbildungsinstituts für Pflegekräfte.
08:00 – 12:00 Uhr: Körperpflege, Haushalt, Beschäftigung
Am Vormittag stehen oft hauswirtschaftliche Tätigkeiten an:
- Leichte Reinigungsarbeiten
- Wäsche waschen und sortieren
- Kochen oder Vorbereitung des Mittagessens
- Begleitung bei Spaziergängen oder Arztbesuchen (je nach Mobilität)
- Gemeinsames Gedächtnistraining, Spielen, Vorlesen
Diese Zeit eignet sich auch für Bewegungsübungen, sofern dies vom Arzt empfohlen wurde. Regelmäßigkeit und Rituale geben sowohl den Seniorinnen als auch den Betreuungskräften Struktur.
12:00 – 14:00 Uhr: Mittagessen und Ruhezeit
Das Mittagessen ist häufig ein sozialer Fixpunkt des Tages. Viele Senioren legen Wert auf traditionelle Gerichte, was bei der Speiseplanung berücksichtigt werden sollte. Nach dem Essen folgt meist eine Ruhephase oder ein Mittagsschlaf – diese Zeit dient auch der Betreuungskraft zur Erholung.
14:00 – 17:00 Uhr: Beschäftigung und soziale Kontakte
Je nach Zustand der betreuten Person werden nachmittags Aktivitäten angeboten oder unternommen:
- Kaffee und Kuchen
- Spaziergänge im Garten oder Park
- Telefonate mit Familienangehörigen
- Besuch der Tagespflege (falls organisiert)
- Hilfe bei der Korrespondenz oder Organisation von Terminen
Auch Besorgungen wie Apothekengänge oder kleine Einkäufe gehören eventuell zum Aufgabenfeld, sofern mit der Familie abgesprochen.
17:00 – 21:00 Uhr: Abendritual und Übergang in die Nachtruhe
Das Abendessen wird zubereitet und gemeinsam eingenommen. Danach helfen Betreuungskräfte je nach Bedarf beim Auskleiden, Zähneputzen und dem Gang zur Toilette. Die Abendgestaltung ist individuell – viele Senioren sehen fern, andere lesen oder hören Musik. Die Betreuungskraft signalisiert ihre Verfügbarkeit, zieht sich aber allmählich zurück.
Bis 21:00 Uhr endet in der Regel der „aktive Teil“ des Arbeitstages. Nachtarbeit – wie mehrfaches Aufstehen – zählt zur Rufbereitschaft und muss gesondert geregelt werden.
Betreuungskraft zu Hause oder Pflegeheim?
Der Vergleich zwischen häuslicher Betreuung und stationärer Pflegeeinrichtung fällt nicht immer eindeutig aus. Beide Modelle haben Vor- und Nachteile:
Vorteile der häuslichen Betreuung:
- Verbleib in vertrauter Umgebung
- Individuelle Tagesgestaltung
- Persönliche Bindung zur Betreuungskraft
- Gerade bei demenziellen Erkrankungen sehr strukturfördernd
Nachteile:
- Hoher organisatorischer Aufwand für Angehörige
- Abgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit für Betreuungskräfte oft schwierig
- Qualität stark abhängig von Einzelfällen
Stationäre Pflegeeinrichtungen:
- Zugang zu medizinischem Fachpersonal
- Entlastung der Angehörigen
- Soziale Kontakte durch Mitbewohner*innen
Jedoch berichten viele Betroffene auch von Zeitmangel, knappen Personalschlüsseln und emotionaler Vereinsamung im Pflegeheim.
Emotionale Belastungen: Für alle Beteiligten
Nicht nur physisch, auch emotional ist die Pflegebeziehung herausfordernd. Für die Pflegekraft bedeutet das enge Zusammenleben mit einer fremden Person ständige Anpassung – und oft auch emotionale Verpflichtung.
Für Angehörige kann das Abgeben von Verantwortung Schuldgefühle auslösen oder Ängste schüren, insbesondere wenn die Qualität der Betreuung nicht kontinuierlich überwacht werden kann.
*„Emotionale Nähe ist einerseits eine Stärke, kann aber auch zur Überforderung führen, wenn keine klaren Grenzen bestehen“* – warnt Dr. Sebastian Fröhlich, Psychologe mit Schwerpunkt Alterspsychotherapie.
Ein offener Austausch, regelmäßige Reflexionen und gegebenenfalls Supervision können hilfreich sein.
Praktische Empfehlungen für Angehörige
Wer überlegt, eine Betreuungskraft zu engagieren, sollte folgende Punkte beachten:
- Pflegegrad beantragen – möglichst frühzeitig mit dem MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen)
- Pflegeberatung in Anspruch nehmen – z. B. bei der Pflegekasse oder kommunalen Anlaufstellen
- Transparency im Alltag fördern – Dokumentation, Tagespläne, gemeinsame Besprechungen helfen
- Grenzen respektieren – Arbeitszeit und Pausen ermöglichen, Privatsphäre schützen
Fazit: Realistische Erwartungen und gegenseitige Wertschätzung
Die Rolle einer 24-Stunden-Betreuungskraft ist komplex. Sie reicht weit über bloße Versorgung hinaus und beinhaltet emotionale, soziale und organisatorische Aspekte. Dennoch ist es wichtig, ihre Aufgaben realistisch zu sehen – sie ist keine Pflegefachkraft, sondern eine unterstützende Bezugsperson im Alltag.
Um das Modell der häuslichen Betreuung nachhaltig zu gestalten, braucht es klare Strukturen, gesetzeskonforme Rahmenbedingungen und – nicht zuletzt – eine wertschätzende Haltung gegenüber der Arbeit dieser Menschen.
Wer sich mit dem Thema intensiver befassen möchte, sollte sich an örtliche Beratungsstellen wenden, mögliche finanzielle Entlastungen prüfen (z. B. steuerliche Absetzbarkeit oder Verhinderungspflege) und umfassend mit der eigenen Familie über Wünsche und Grenzen sprechen. Nur so kann ein Pflegearrangement gelingen, das alle Beteiligten trägt – menschlich wie praktisch.
*„Gute Pflege beginnt mit guter Planung – aber sie lebt vom Miteinander“* – resümiert Dr. Eva Schweitzer.
Der demografische Wandel betrifft uns alle. Ob wir nun Betroffene, Angehörige oder Fachkräfte sind – eine informierte Haltung und bewusste Entscheidungen sind der erste Schritt zu einer würdevollen Pflege in unserer Gesellschaft.