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Finanzierung der 24-Stunden-Betreuung: So nutzen Sie Pflegegeld und Verhinderungspflege optimal

In einer alternden Gesellschaft wie der deutschen stellt sich für viele Familien früher oder später die Frage: Welche Zuschüsse aus dem deutschen Versicherungssystem stehen mir zu, um eine angemessene Betreuung für meine pflegebedürftigen Angehörigen zu organisieren? Die Finanzierung der sogenannten 24-Stunden-Betreuung ist dabei ein zentrales Thema. Vielfach stehen Angehörige unter emotionalem und organisatorischem Druck – sie wollen ihren Eltern, Partnern oder anderen nahestehenden Personen ein würdevolles Altern ermöglichen, wissen aber oft nicht, welche finanziellen Hilfen und rechtlichen Rahmenbedingungen ihnen zur Verfügung stehen. Genau hier setzt dieser Artikel an.

Ziel ist es, einen strukturierten Überblick über die Finanzierungsmöglichkeiten der häuslichen 24-Stunden-Betreuung in Deutschland zu geben – insbesondere durch den geschickten Einsatz von Pflegegeld und Verhinderungspflege. Dabei werden sowohl soziale, kulturelle und rechtliche Aspekte als auch emotionale Dimensionen beleuchtet, um ein ganzheitliches Bild zu vermitteln.

Die gesellschaftliche Realität: Immer mehr Pflegebedürftige, begrenzte Ressourcen

Deutschland befindet sich mitten im demografischen Wandel. Schon heute ist etwa jeder fünfte Bundesbürger 65 Jahre oder älter. Laut Statistischem Bundesamt wird dieser Anteil bis 2035 auf knapp ein Drittel der Bevölkerung steigen. Mit zunehmendem Alter steigt auch die Wahrscheinlichkeit, pflegebedürftig zu werden – sei es infolge chronischer Erkrankungen, kognitiver Einschränkungen wie Demenz oder altersbedingter Mobilitätsverluste.

Gleichzeitig verändert sich die familiäre Struktur: Berufstätigkeit beider Partner, zunehmende Urbanisierung und kleinere Haushalte führen dazu, dass immer weniger Angehörige dauerhaft und in vollem Umfang Pflegeleistungen erbringen können. Die Nachfrage nach externer Unterstützung – insbesondere in Form der sogenannten 24-Stunden-Betreuung – wächst.

Was bedeutet 24-Stunden-Betreuung überhaupt?

Der Begriff „24-Stunden-Betreuung“ ist rechtlich nicht exakt definiert, bezeichnet aber meist die kontinuierliche, häusliche Versorgung einer pflegebedürftigen Person durch eine anwesende Betreuungskraft – häufig aus Mittel- oder Osteuropa. Diese Betreuungsperson lebt mit im Haushalt der pflegebedürftigen Person und übernimmt alltägliche Aufgaben wie:

  • Unterstützung bei der Körperpflege und Ernährung
  • Haushaltsführung (Kochen, Putzen, Waschen)
  • Begleitung zu Arztterminen oder alltäglichen Erledigungen
  • Emotionale Zuwendung und soziale Teilhabe

Die sogenannte 1:1-Betreuung in vertrauter Umgebung wird von vielen gegenüber stationärer Pflege bevorzugt – nicht zuletzt wegen der individuellen Zuwendung. Doch sie ist auch kostenintensiv und organisatorisch anspruchsvoll.

Emotionale und gesundheitliche Aspekte in der Betreuung

Für Angehörige ist die Entscheidung für eine 24-Stunden-Betreuung oft von ambivalenten Gefühlen begleitet. Viele wünschen sich, für ihre Eltern oder Partner selbst da zu sein – stoßen jedoch im Alltag an ihre Grenzen. Pflege führt nicht selten zu Überlastung, beruflichen Einschränkungen und psychischer Belastung.

„In der Pflege zählt nicht nur das Fachliche – Nähe und Beziehung sind oft entscheidender für das Wohlbefinden des Pflegebedürftigen“, sagt Dr. Martina Vogel, Pflegewissenschaftlerin aus Freiburg.

Zugleich profitieren pflegebedürftige Menschen nachweislich von der Kontinuität häuslicher Betreuung: Der Verbleib in vertrauter Umgebung stärkt das Sicherheitsgefühl und kann insbesondere bei kognitiven Einschränkungen stabilisierend wirken.

Finanzierungsmöglichkeiten im Rahmen der Pflegeversicherung

Grundlage für finanzielle Leistungen ist das Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI). Voraussetzung: Es wurde ein Pflegegrad durch den Medizinischen Dienst festgestellt. Dieser reicht von Pflegegrad 1 (geringe Beeinträchtigung) bis Pflegegrad 5 (schwerste Beeinträchtigung mit besonderen Anforderungen).

Pflegegeld: Unterstützung für häusliche Pflege durch Angehörige oder Betreuungspersonal

Das Pflegegeld ist eine der wichtigsten Säulen zur Finanzierung der häuslichen Versorgung. Es wird gezahlt, wenn die Pflege überwiegend von Angehörigen oder privaten Betreuungskräften übernommen wird.

Die Höhe des Pflegegeldes ab 1. Januar 2024 (monatlich):

  • Pflegegrad 2: 332 Euro
  • Pflegegrad 3: 573 Euro
  • Pflegegrad 4: 765 Euro
  • Pflegegrad 5: 947 Euro

Dieses Geld kann flexibel eingesetzt werden – etwa zur (teilweisen) Finanzierung einer Betreuungskraft im Rahmen der 24-Stunden-Betreuung. Es ist nicht zweckgebunden, setzt jedoch voraus, dass die Betreuung im häuslichen Umfeld erfolgt.

Verhinderungspflege: Entlastung bei Urlaub oder Ausfall der Hauptpflegeperson

Verhinderungspflege gemäß § 39 SGB XI greift, wenn die reguläre Pflegeperson – meist ein Angehöriger – zeitweise verhindert ist, z. B. durch Krankheit, Erholung oder andere Verpflichtungen. Anspruch besteht ab Pflegegrad 2.

Die Leistung beträgt bis zu 1.612 Euro pro Kalenderjahr für maximal 6 Wochen (42 Tage). Zusätzlich kann bis zu 50 % des Kurzzeitpflegebudgets (weitere 806 Euro) übertragen werden, sodass sich insgesamt bis zu 2.418 Euro jährlich für Verhinderungspflege nutzen lassen.

Praxisbeispiel:

Eine Tochter pflegt ihre 85-jährige Mutter im eigenen Haushalt (Pflegegrad 3). Im Sommer nimmt sie sich zwei Wochen Urlaub. Für diese Zeit engagiert sie eine Betreuungskraft über eine Agentur. Die Kosten liegen bei etwa 1.200 Euro. Diese Summe kann vollständig über das Budget der Verhinderungspflege gedeckt werden.

Kombinationsmöglichkeiten: Pflegegeld, Verhinderungspflege und Entlastungsbetrag

Diese Leistungen lassen sich sinnvoll zusammensetzen, um Pflege in der häuslichen Umgebung finanziell abzusichern:

  • Pflegegeld (monatlich)
  • Verhinderungspflege (jährlich, zusätzlich zum Pflegegeld)
  • Entlastungsbetrag: 125 Euro monatlich für niederschwellige Hilfeleistungen (z. B. Alltagsbegleitung)

Durch geschickte Kombinationsnutzung lassen sich bis zu mehrere Tausend Euro jährlich zur Finanzierung einer Betreuungskraft einsetzen – vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen sind erfüllt und Abrechnungen werden rechtzeitig eingereicht.

Rechtliche Rahmenbedingungen bei der Beschäftigung von Betreuungskräften

Bei der Anstellung einer Betreuungskraft im Rahmen der 24-Stunden-Betreuung gibt es verschiedene Modelle:

1. Entsendemodell nach EU-Dienstleistungsfreiheit

Hier wird die Betreuungsperson von einem osteuropäischen Dienstleister nach Deutschland entsandt. Sie bleibt bei ihrem Heimatunternehmen angestellt, unterliegt sozialversicherungsrechtlich weiterhin dem Recht ihres Herkunftslandes. Dieses Modell ist rechtlich möglich – jedoch muss auf seriöse und transparente Anbieter geachtet werden.

2. Direkte Arbeitgeberrolle durch die Familie

Die Familie tritt als Arbeitgeber auf, meldet die Betreuungskraft bei der Minijob-Zentrale oder regulär an, übernimmt Lohnabrechnung, Abgaben und Urlaub. Dieses Modell erfordert erheblichen administrativen Aufwand und rechtliches Know-how.

3. Selbstständige Betreuungskraft

Einige Betreuungspersonen arbeiten als selbstständige Dienstleister. Hier besteht die Gefahr der Scheinselbstständigkeit – insbesondere bei fehlender Gestaltungsfreiheit der Arbeit und exklusiver Tätigkeit für einen Haushalt. Fachleute raten hier zur Vorsicht und rechtlichen Beratung.

„Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sollten sehr genau prüfen, welches Modell rechtlich tragfähig ist. Ein Beratungsangebot etwa durch Verbraucherzentralen oder Pflegekassen kann helfen, Risiken zu minimieren“, so Thomas Geißler, Jurist mit Schwerpunkt Sozialrecht in Hamburg.

Was kostet eine 24-Stunden-Betreuung realistisch?

Die monatlichen Kosten schwanken abhängig von Anbieter, Qualifikation der Betreuungskraft und gewünschten Leistungen stark. Als grober Richtwert gilt:

  • Betreuung aus Osteuropa (legal entsandt): ca. 2.300–3.200 Euro/Monat
  • Selbstständige Kräfte: etwa 2.000–2.800 Euro/Monat (inkl. Spesen)
  • Haushaltsnahe Hilfe (ohne pflegerische Aufgaben): ab ca. 1.800 Euro/Monat

Hinzu kommen Nebenkosten wie Fahrtkosten, Verpflegung und ggf. Unterkunft im Haushalt. Obwohl diese Kosten nicht vollständig durch Pflegegeld gedeckt werden können, reduzieren sie den Eigenanteil erheblich – insbesondere in Kombination mit Verhinderungspflege oder steuerlichen Entlastungen.

Steuerliche Absetzbarkeit und weitere Fördermöglichkeiten

Bestimmte Kosten für häusliche Betreuung lassen sich steuerlich geltend machen:

  • Haushaltsnahe Dienstleistungen: 20 % der Kosten, max. 4.000 Euro/Jahr
  • Außergewöhnliche Belastungen: bei nachgewiesener individueller Notlage

Darüber hinaus bestehen regionale Förderprogramme (z. B. in Bayern oder NRW), die bei bestimmten Voraussetzungen zusätzliche finanzielle Hilfen für Pflegeleistungen vorsehen.

Alternative Versorgungsformen im Vergleich: Pflegeheim und ambulanter Pflegedienst

In einigen Fällen kann eine Betreuung im Pflegeheim oder durch ambulante Dienste sinnvoller oder erforderlich sein – etwa bei schwerer Demenz, fehlendem Wohnraum oder fehlenden Angehörigen.

  • Ambulanter Pflegedienst: Leistungspflege durch examinierte Pflegekräfte in Kombination mit Pflegegeld
  • Pflegeheim: stationäre Versorgung, finanziert über Pflegesachleistungen, ggf. Sozialhilfe

Die Entscheidung hängt ab von Pflegegrad, familiärer Situation, individueller Bedürfnissen und finanziellen Möglichkeiten.

„Nicht jeder Mensch profitiert von derselben Versorgungsform. Wichtig ist, dass Struktur, Zuwendung und Verlässlichkeit gegeben sind“, betont Dr. Vogel.

Fazit: Planung, Wissen und Beratung als Grundlage guter Pflege

Die Versorgung eines pflegebedürftigen Angehörigen im häuslichen Umfeld ist eine komplexe Aufgabe – emotional, organisatorisch und finanziell. Doch das deutsche Pflegesystem bietet eine Vielzahl an Möglichkeiten, diese Herausforderung zu bewältigen – insbesondere durch gezielte Nutzung von Pflegegeld und Verhinderungspflege.

Um das vorhandene Leistungsspektrum ausschöpfen zu können, empfiehlt sich:

  • Kontaktaufnahme mit einer Pflegeberatung (z. B. über Pflegekasse oder Pflegestützpunkte)
  • Erstellung eines individuellen Pflegeplans unter Berücksichtigung vorhandener Ressourcen
  • Prüfung steuerlicher Absetzbarkeit von Betreuungskosten
  • Regelmäßige Aktualisierung des Pflegegrades bei Verschlechterung der gesundheitlichen Situation

Die Pflege eines geliebten Menschen ist eine anspruchsvolle, oft lebensverändernde Erfahrung. Mit dem richtigen Wissen und einer durchdachten finanzstrategischen Planung lässt sich echte Entlastung schaffen – für die pflegebedürftige Person, aber auch für die Familie. Die Entscheidung für eine 24-Stunden-Betreuung kann so nicht nur eine organisatorische Lösung sein, sondern ein Ausdruck von Fürsorge, Würde und Verantwortungsgefühl.

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