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Legale „polnische Pflegekraft“: Das A1-Entsendemodell einfach und sicher erklärt

In Deutschland stehen immer mehr Familien vor der Herausforderung, die Betreuung und Versorgung älterer Angehöriger zu organisieren. Besonders im Kontext eines demografischen Wandels, der mit einer deutlichen Alterung der Gesellschaft einhergeht, gewinnt die häusliche Pflege zunehmend an Bedeutung. Viele Menschen stoßen dabei auf das Modell der sogenannten „polnischen Pflegekraft“ – häufig als vermeintlich kostengünstige und familiäre Alternative zum Pflegeheim dargestellt. Doch gerade hier stellen sich entscheidende Fragen: Ist dieses Modell wirklich zu 100 Prozent legal? Wie funktioniert es in der Praxis? Welche rechtlichen, finanziellen und ethischen Aspekte müssen beachtet werden?

Dieser Artikel beleuchtet das A1-Entsendemodell, das häufig für die legale Beschäftigung ausländischer Betreuungskräfte – insbesondere aus Polen – genutzt wird. Gleichzeitig wird erklärt, welche rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland gelten, wie Angehörige diese Form der Betreuung rechtssicher nutzen können und welche Alternativen verfügbar sind. Neben den formalen Fragen werden auch die emotionale Belastung von pflegenden Angehörigen, gesundheitsbezogene Aspekte und praktische Lösungsstrategien dargestellt – immer mit Blick auf die Versorgung älterer Menschen, die so lange wie möglich selbstbestimmt zu Hause leben möchten.

Die Realität der häuslichen Pflege in Deutschland

Demografischer Wandel und gesellschaftlicher Druck

Die deutsche Gesellschaft altert: Laut Statistischem Bundesamt wird im Jahr 2035 etwa jeder dritte Mensch in Deutschland 65 Jahre oder älter sein. Gleichzeitig sinkt die Zahl der potenziell pflegenden Angehörigen, während der Pflegebedarf kontinuierlich steigt.

Der Wunsch, zu Hause alt zu werden, ist bei der Mehrheit der Menschen ausgeprägt. Pflegeheime gelten häufig als letzte Lösung – vor allem dann, wenn eine häusliche Versorgung nicht mehr möglich oder verantwortlich gesichert ist. Das führt bei Angehörigen zu großen Belastungen:

  • emotionale Erschöpfung durch permanente Verantwortung
  • Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
  • finanzielle Lasten durch Pflegekosten
  • Unsicherheit in Bezug auf rechtliche Aspekte der Beschäftigung von Pflegekräften

In der Pflege geht es nicht nur ums Waschen und Füttern – es geht um Beziehung, Würde und Sicherheit“, betont Dr. Julia Bertram, Pflegeethikerin an der Universität Münster.

Pflege zu Hause vs. stationäre Betreuung

Der Weg ins Pflegeheim ist nicht der einzige gangbare. In Deutschland stehen heute verschiedene Modelle der Versorgung zur Verfügung:

  • Ambulante Pflegedienste: medizinisch-pflegerische Versorgung zu Hause durch professionelle Pflegekräfte
  • Pflegeheime: vollstationäre Betreuung mit Rundumversorgung – jedoch häufig mit langen Wartezeiten und hohen Kosten
  • Pflege durch Angehörige: weit verbreitet, aber mit hohem physischen und psychischen Aufwand verbunden
  • 24-Stunden-Betreuung: meist durch Betreuungskräfte aus Osteuropa im Haushalt lebend – oft unter dem „Entsendemodell“ organisiert

Gerade letzteres Modell wirft immer wieder Fragen nach Legalität, Qualität der Betreuung und sozialer Gerechtigkeit auf – insbesondere, wenn Menschen aus ökonomisch schwächeren EU-Ländern „billiger“ beschäftigt werden.

Was ist das A1-Entsendemodell?

Grundprinzip der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit

Die Grundlage des A1-Modells bildet die EU-Dienstleistungsfreiheit. Polnische Betreuungskräfte, die bei einem Unternehmen in Polen angestellt sind, können im Rahmen einer Dienstleistung zeitweise nach Deutschland entsandt werden. Voraussetzung ist unter anderem, dass sie in ihrem Heimatland sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.

Das entsendende Unternehmen beantragt dazu ein A1-Formular, das offiziell bestätigt, dass die Pflegekraft weiterhin in Polen sozialversichert ist, auch wenn sie vorübergehend in Deutschland arbeitet.

Wichtig:

  • Die A1-Bescheinigung ist der zentrale Nachweis für die Rechtmäßigkeit der Entsendung nach deutschem und europäischem Recht.
  • Die Pflegekraft darf nicht privat angestellt sein – ein Modell, das ohne Anmeldung schnell in die Schwarzarbeit führt.

Nur mit dem A1-Nachweis entsteht wirklich Rechtssicherheit für Familie und Pflegekraft“, erklärt Thomas Götze, Rechtsanwalt für Sozialversicherungsrecht in Köln.

Wichtige Voraussetzungen für die legale Entsendung

Damit das Modell rechtskonform ist, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein:

  • Die Pflegekraft ist bei einem ausländischen Dienstleister regulär angestellt.
  • Es liegt eine gültige A1-Bescheinigung für den Entsendungszeitraum vor.
  • Es findet keine Scheinselbstständigkeit statt.
  • Die Arbeitszeiten und Rechte orientieren sich am deutschen Arbeitszeitgesetz.
  • Die Bundesagentur für Arbeit erkennt das Modell an.

Besondere Vorsicht ist geboten bei Agenturen oder Vermittlungsportalen, die unklare Vertragslagen schaffen. Die Verantwortung für eine legale Beschäftigung liegt letztlich auch bei der auftraggebenden Familie.

Welche Leistungen sind durch das System abgedeckt?

Pflegegrade und finanzielle Hilfen

In Deutschland entscheidet der sogenannte Pflegegrad über die Leistungen der Pflegekassen. Er reicht von Pflegegrad 1 (gering) bis Pflegegrad 5 (schwerste Beeinträchtigung).

Je nach Pflegegrad erhalten Versicherte:

  • Pflegegeld: für Pflege durch Angehörige oder informelle Helfer
  • Sachleistungen: für professionelle Pflegedienste
  • Kombinationsleistung: Mischung aus Geld- und Sachleistung

Zusätzlich können beantragt werden:

  • Verhinderungspflege: bei Krankheit oder Urlaub der betreuenden Person
  • Wohnraumanpassung: bis zu 4000 Euro Zuschuss für barrierefreie Maßnahmen
  • Steuerliche Entlastung: bis zu 4000 Euro jährlich für haushaltsnahe Dienstleistungen

Diese Gelder können – unter bestimmten Voraussetzungen – auch zur Finanzierung einer legalen osteuropäischen Betreuungskraft im A1-Modell beitragen.

Kosten und Vertragsgestaltung

Die Kosten für eine legal tätige Betreuungskraft im A1-Entsendemodell liegen je nach Qualifikation, Sprachniveau und Arbeitsumfang aktuell (Stand: 2024) zwischen 2500 und 3500 Euro pro Monat.

Zu achten ist auf:

  • Klare Vertragspartner (der Dienstleister, nicht die Pflegekraft selbst)
  • Detaillierte Leistungsbeschreibung (Betreuung vs. Pflege vs. Hausarbeit)
  • Arbeitszeitregelung (Ruhezeiten, Pausen, Freizeit)
  • Unterbringung im Haushalt (eigener Raum, Zugang zu Bad und Küche)

Hier empfiehlt sich die Prüfung durch einen unabhängigen Berater oder Verbraucherzentrale. Auch Pflegeberater der gesetzlichen Krankenkassen können unterstützen.

Emotionale und ethische Dimensionen der häuslichen Pflege

Beziehungsqualität zwischen Pflegekraft und älterem Menschen

Vertrauen, persönliche Nähe und interkulturelles Verständnis sind zentrale Faktoren für eine gelingende Betreuung im häuslichen Umfeld. Wenn eine Betreuungskraft rund um die Uhr im Haushalt lebt, entsteht oft ein intensives Verhältnis – das aber auch Konflikte in sich tragen kann.

In der Pflege sind es oft die kleinen Dinge – ein Lächeln, ein verständnisvoller Blick –, die den Alltag human machen“, so Dr. Bertram.

Wichtig ist, dass auch die Pflegekraft Rechte hat: Erholung, Privatsphäre und angemessene Bezahlung sind erforderlich, um Ausbeutung zu verhindern.

Grenzen des Modells

Die 24-Stunden-Betreuung suggeriert ständige Verfügbarkeit – doch rechtlich und menschlich ist das nicht leistbar. Auch eine Betreuungskraft aus Polen hat Anspruch auf Ruhezeiten und kann keine professionelle Pflege (z. B. bei katheterpflichtigen Patienten) im engeren Sinne leisten, wenn sie nicht entsprechend qualifiziert ist.

Zudem sind Sprachbarrieren, kulturelle Missverständnisse und Einsamkeit mögliche Herausforderungen.

Alternativen zur 24-Stunden-Betreuung

Nicht für jeden Haushalt ist das A1-Modell die passendste Lösung. Alternativen sind:

  • Ambulante Pflegedienste für medizinisch-pflegerische Leistungen
  • Tagespflegeeinrichtungen zur Entlastung der Angehörigen tagsüber
  • Sogenannte Betreuungsdienste, die stundenweise Unterstützung leisten (z. B. Spaziergänge, Begleitungen)
  • Wohngemeinschaften für Senioren mit gemeinschaftlichem Leben und Betreuung

Diese Angebote können auch miteinander kombiniert werden. Wichtig ist eine individuell passende Lösung.

Fazit: Verantwortungsvoll entscheiden – informiert handeln

Die Betreuung älterer Menschen im eigenen Zuhause ist eine wertvolle und herausfordernde Aufgabe. Das A1-Entsendemodell stellt dabei eine prinzipiell legale Möglichkeit dar, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind – vor allem die korrekte Entsendung durch ein ausländisches Dienstleistungsunternehmen mit gültiger A1-Bescheinigung.

Gleichzeitig gilt: Pflege ist Beziehungsarbeit und darf nicht rein funktional organisiert werden. Wer eine Betreuungsperson ins Haus holt, übernimmt Verantwortung – nicht nur für die betreute Person, sondern auch gegenüber der Betreuungskraft.

Für Interessierte empfiehlt sich:

  • Kontakt zur Pflegeberatung der Krankenkassen oder Pflegekassen
  • Nutzung steuerlicher Entlastungsmöglichkeiten
  • Prüfung von Alternativen wie Kombilösungen mit Pflegediensten
  • Blick in unabhängige Informationsquellen wie Verbraucherzentrale oder Caritas

Die demografischen Veränderungen werden weitergehen. Umso wichtiger ist es, dass Menschen – Angehörige wie Pflegebedürftige – sich gut informieren, Verantwortung übernehmen und tragfähige, faire Lösungen finden. Denn am Ende geht es nicht nur um rechtliche Fragen, sondern um Menschenwürde – auf beiden Seiten.

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