In Deutschland werden immer mehr Menschen alt: Laut Statistischem Bundesamt wird im Jahr 2040 fast jeder vierte Bundesbürger über 65 Jahre alt sein. Der demografische Wandel stellt sowohl Familien als auch das Gesundheitssystem vor tiefgreifende Herausforderungen. Eine der zentralen Fragen in vielen Haushalten lautet: „Kann ich einen Mann für die Pflege einstellen und in welchen Situationen ist das eine gute Idee?“
In diesem Artikel werfen wir einen umfassenden Blick auf die Rolle männlicher Pflegekräfte in der Seniorenbetreuung – sowohl im häuslichen als auch im stationären Umfeld. Wir beleuchten emotionale, gesundheitliche, finanzielle und rechtliche Aspekte und geben Hilfestellungen, wie Angehörige zu einer informierten Entscheidung gelangen können. Denn gute Pflege bedeutet nicht nur körperliche Versorgung, sondern auch Respekt, Vertrauen und individuelle Passung – unabhängig vom Geschlecht der betreuenden Person.
Pflege in Deutschland: Entwicklungen und gesellschaftlicher Kontext
Deutschland steht seit Jahren vor einer alternden Gesellschaft. Die Nachfrage nach professioneller Pflege wächst stetig, während gleichzeitig der Nachwuchs im Pflegeberuf sinkt.
Laut dem Bundesministerium für Gesundheit waren 2023 über 5 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig. Über 80 % von ihnen werden zu Hause betreut – meist von Angehörigen, unterstützt durch ambulante Dienste oder 24-Stunden-Betreuungskräfte.
Trotz des hohen Bedarfs ist Pflege in der öffentlichen Vorstellung oft weiblich: Laut Statistiken der Bundesagentur für Arbeit sind über 80 % der Pflegekräfte Frauen. Männliche Pflegekräfte sind in der Minderheit – und doch gibt es Situationen, in denen ein männlicher Betreuer eine sinnvolle und passende Alternative darstellen kann.
Worin bestehen die Vorteile männlicher Pflegekräfte?
Physische Unterstützung bei körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten
Pflegesituationen erfordern häufig körperlichen Einsatz – etwa beim Umbetten, Heben oder Unterstützen beim Gehen.
Männliche Pflegekräfte bringen durch ihre physiologischen Voraussetzungen oft eine höhere körperliche Belastbarkeit mit, was insbesondere bei stark eingeschränkten Pflegebedürftigen hilfreich sein kann.
Beispiel: Ein an Parkinson leidender Senior mit Pflegegrad 4 benötigt tägliche Unterstützung beim Transfer vom Bett auf den Rollstuhl. Eine männliche Pflegekraft kann diesen Vorgang effizienter bewältigen und somit die Belastung für beide Beteiligten reduzieren.
Vertrauen und Schamgefühl: Wenn Männer Männer pflegen
Intime Pflegesituationen wie die Körperhygiene, das An- und Auskleiden oder der Toilettengang können bei älteren männlichen Pflegebedürftigen Scham auslösen – besonders wenn sie von Frauen betreut werden.
*„In unserer Einrichtung erleben wir immer wieder, dass ältere Herren eine männliche Pflegekraft bevorzugen – besonders beim Waschen oder bei der Blasenkatheterversorgung“,* berichtet Thomas Riedl, Pflegedienstleiter eines Seniorenheims in Hamburg.
Ein männlicher Betreuer kann das Vertrauen eines männlichen Seniors stärken und entlastend wirken, gerade wenn das Schamgefühl stark ausgeprägt ist.
Vorbildfunktion und emotionale Nähe
Pflege ist nicht nur körperlich, sondern auch emotional herausfordernd. Ein männlicher Pflegekraft kann für alleinstehende Männer eine stärkende männliche Bezugsperson sein, mit der sie sich auf Augenhöhe austauschen.
Beispiel: Ein verwitweter ehemaliger Handwerker findet in einem männlichen Betreuer, der ähnliche Arbeitshistorie aufweist, Anschluss und Gesprächsstoff. Solche emotionalen Anker erhöhen das Wohlbefinden und wirken sich positiv auf die psychische Gesundheit aus.
Wo können männliche Pflegekräfte eingesetzt werden?
Individuelle Betreuung zu Hause
In der häuslichen Pflege ist der persönliche Kontakt besonders intensiv und konstant. Die Entscheidung für eine männliche Pflegekraft kann hier auf verschiedenen Ebenen getroffen werden:
1. 24-Stunden-Betreuung: Besonders bei hoher Pflegeintensität wird eine Betreuungskraft rund um die Uhr benötigt. Viele Vermittlungsagenturen bieten mittlerweile gezielt männliche Pflegekräfte aus Osteuropa an – etwa für alleinstehende Männer mit starkem Schamgefühl.
2. Ambulante Pflegedienste: Einige Dienste beschäftigen Männer im Team. Wer eine männliche Pflegekraft bevorzugt, kann das beim Erstgespräch gezielt ansprechen.
3. Entlastung pflegender Angehöriger: Im Rahmen der sogenannten Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI) können Pflegebedürftige zeitweise von professionellen Pflegekräften betreut werden, wenn die Hauptpflegeperson verhindert ist. Auch hier sind männliche Betreuungspersonen eine wählbare Option – wichtig ist eine möglichst frühzeitige Organisation und Beantragung bei der Pflegekasse.
Stationäre Einrichtungen: Männer im Pflegeteam
In Pflegeheimen ist der Einsatz männlicher Pflegekräfte bereits häufiger etabliert, besonders in gemischtgeschlechtlichen Teams. Dennoch sind sie oft unterrepräsentiert.
Einrichtungen mit einer bewussten Gender-Diversitätsstrategie fördern aktiv Männer in der Pflegeausbildung und versuchen, Tandems aus weiblichen und männlichen Kollegen für bestimmte Bewohnergruppen einzusetzen.
*„Männliche Pflegekräfte bringen eine andere Perspektive mit ein und bereichern unser Team ungemein“,* betont Sabine Hausmann, Bereichsleiterin eines Pflegeheims in München. *„Die männlichen Bewohner schätzen den Austausch – sei es über Sport, Berufserinnerungen oder aktuelle Ereignisse.“*
Rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen in Deutschland
Pflegegrad als zentrales Kriterium
Die Einstufung in einen Pflegegrad durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) bildet die finanzielle Grundlage für viele Leistungen. Die Spanne reicht von Pflegegrad 1 (geringe Beeinträchtigung) bis Pflegegrad 5 (schwerste Beeinträchtigungen mit besonderen Anforderungen an die Pflege).
Je nach Grad können folgende Leistungen beantragt werden:
• Pflegegeld bei häuslicher Pflege durch Angehörige oder Betreuungspersonen
• Pflegesachleistungen bei ambulantem Pflegedienst
• Kombinationsleistungen (Geld + Dienst)
• Verhinderungspflege, Kurzzeitpflege, Tages- und Nachtpflege
Kosten und Finanzierung von männlichen Pflegekräften
Männliche Pflegekräfte sind in der Vergütung nicht gesondert eingestuft – sie erhalten dieselben Honorare wie weibliche Pflegekräfte im jeweiligen Tarifbereich.
Für familienorganisierte häusliche Pflege mit einer externen Betreuungskraft (z. B. 24-Stunden-Betreuung aus Osteuropa) zahlt die Pflegeversicherung Pflegegeld, das zur Finanzierung beitragen kann. Ab Pflegegrad 2 stehen folgende Beträge (monatlich) zur Verfügung (Stand 2024):
• PG 2: 316 €
• PG 3: 545 €
• PG 4: 728 €
• PG 5: 901 €
Zusätzlich können Leistungen wie die Verhinderungspflege (bis zu 1.612 € pro Jahr), steuerliche Entlastungen (§ 35a EStG) und Pflegehilfsmittelpauschalen beantragt werden.
Wie finde ich eine passende männliche Pflegekraft?
Worauf sollte bei der Auswahl geachtet werden?
Bei der Entscheidung für eine männliche Betreuungskraft sollten folgende Aspekte beachtet werden:
• Qualifikation und Erfahrung (z. B. examinierter Altenpfleger, Betreuungsassistent)
• Sprachkenntnisse und kulturelle Sensibilität
• Persönlichkeit: Passen Humor, Umgangsformen und Werte zu der pflegebedürftigen Person?
• Bereitschaft zur Übernahme von Pflegeintimität
• Belastbarkeit und Umgang mit Krisensituationen
• Verfügbarkeit und Verlässlichkeit
Wo kann man suchen?
• Vermittlungsagenturen für 24-Stunden-Betreuung (achten Sie auf Transparenz und rechtssichere Arbeitsverhältnisse)
• Lokale ambulante Dienste – gezielt nach männlichen Pflegekräften fragen
• Portale wie carefinder.de, betreut.de – mit Filterfunktion nach Geschlecht
• Pflegeberatungsstellen der Kranken- und Pflegekassen – diese kennen regionale Anbieter
Kulturelle und emotionale Aspekte: Ein realistischer Blick
Trotz sachlicher Erwägungen spielen persönliche Vorbehalte und kulturelle Einstellungen oft eine zentrale Rolle. Besonders in konservativ geprägten Familien oder bei älteren Damen kann die Vorstellung eines männlichen Pflegers auf Ablehnung stoßen. Hier ist behutsame Kommunikation gefragt.
*„In der Pflege steht der Mensch im Mittelpunkt, nicht das Geschlecht. Doch Vertrauen entsteht nur, wenn alle Beteiligten sich wohlfühlen – das muss immer individuell besprochen werden.“* – sagt Dr. Heike Lindner, Pflegewissenschaftlerin aus Köln.
Es lohnt sich, das Thema in der Familie offen zu besprechen. Was wünscht sich die pflegebedürftige Person? Gibt es Vorbehalte – und wenn ja, woher stammen sie? Oft lassen sich durch ein Kennenlernen der potenziellen Pflegekraft Hürden abbauen und Vorurteile hinterfragen.
Fazit: Männliche Pflegekräfte als gleichwertige, manchmal bessere Wahl
Männliche Pflegekräfte bieten dort einen besonderen Mehrwert, wo körperliche Kraft, emotionale Nähe oder Vertrauensprobleme gegenüber weiblichen Pflegerinnen eine Rolle spielen. Sie sind in bestimmten Situationen nicht nur eine gleichwertige Alternative, sondern oft sogar die bessere Wahl – insbesondere bei männlichen Pflegebedürftigen mit hohem Unterstützungsbedarf oder großem Schamgefühl.
Gleichzeitig erfordert die Suche nach einer passenden männlichen Pflegeperson gute Vorbereitung, persönliches Feingefühl und rechtliche Klarheit. Pflege ist kein Standardprodukt – sie lebt von der individuellen Beziehung und einem hohen Maß an Vertrauen.
Erwägen Sie, ob ein männlicher Betreuer für Ihren Angehörigen sinnvoll wäre? Dann sprechen Sie mit einer Beratungsstelle, holen Sie Meinungen ein, prüfen Sie verfügbare Leistungen und nehmen Sie sich Zeit für die Entscheidung. Gute Pflege beginnt mit Offenheit, Respekt – und dem Mut, neue Wege zu gehen.
Weitere Informationen bieten:
• Die neutrale Pflegeberatung der Pflegekassen (kostenfrei)
• Das Pflegetelefon des Bundesfamilienministeriums: 030 20179131
• Regionale Wohlfahrtsverbände (z. B. Caritas, Diakonie)
Es gibt keine perfekte Lösung für alle – aber viele Wege, die individuell gut funktionieren können.