Darf die Betreuungskraft meinen Eltern Medikamente verabreichen? Diese Frage stellen sich viele Angehörige, die die Betreuung älterer Familienmitglieder mit Unterstützung einer häuslichen Pflegekraft organisieren. Die Antwort hierauf ist komplex und hängt von rechtlichen, organisatorischen, aber auch emotionalen und gesundheitlichen Faktoren ab. In einer alternden Gesellschaft wie der deutschen, in der immer mehr Menschen Unterstützung im Alltag benötigen und gleichzeitig familiäre Versorgungsstrukturen häufig an ihre Grenzen stoßen, gewinnt das Medikamentenmanagement zunehmend an Bedeutung. Nicht nur die richtige Einnahme, sondern auch die Koordination, Kontrolle und Dokumentation von Arzneimitteln stellen große Herausforderungen dar – sowohl für pflegende Angehörige als auch für externe Betreuungskräfte. Dieser Artikel beleuchtet diese Thematik umfassend und vermittelt praxisnahe Informationen für Menschen, die Verantwortung für die Versorgung ihrer älteren Angehörigen tragen.
Die gesellschaftlichen und demografischen Rahmenbedingungen
Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich in einem rasanten demografischen Wandel. Laut Statistischem Bundesamt wird bereits im Jahr 2030 etwa jeder dritte Bundesbürger älter als 60 Jahre sein. Mit zunehmendem Alter steigt jedoch auch die Wahrscheinlichkeit für chronische Erkrankungen, Demenz und Multimorbidität, die eine regelmäßige Medikationsvergabe notwendig machen.
Zugleich verändert sich die familiäre Struktur. Viele Angehörige leben nicht in unmittelbarer Nähe zu den älteren Familienmitgliedern oder sind beruflich stark eingespannt. Die Pflege durch Familienmitglieder wird dadurch komplizierter, wodurch sich viele Familien für zusätzliche Unterstützung in Form von Betreuungskräften – insbesondere aus dem Ausland – entscheiden.
Rechtliche Grundlagen für das Medikamentenmanagement
Wer darf Medikamente geben?
Gemäß deutschem Recht dürfen Medikamente grundsätzlich nur von medizinisch geschultem Personal verabreicht werden. Dazu zählen:
- Ärztinnen und Ärzte
- Pflegefachkräfte (Altenpfleger/-innen, Gesundheits- und Krankenpfleger/-innen)
- Angelerntes Personal unter Aufsicht einer Pflegefachkraft
Häusliche Betreuungskräfte ohne medizinische Ausbildung – häufig bezeichnet als „24-Stunden-Betreuer:innen“ – dürfen keine Medikamente verabreichen, da dies einen medizinischen Eingriff darstellt. Ausgenommen hiervon ist lediglich das „Anreichen“ von bereits vorbereiteten Medikamenten, etwa nach ärztlicher Anordnung durch Angehörige oder eine ambulante Pflegekraft.
Diese Unterscheidung ist entscheidend: Das Verabreichen von Medikamenten (z. B. Tabletten stellen, Injektionen setzen, Tropfen dosieren) ist Pflegefachpersonal vorbehalten. Das Anreichen ist hingegen unter bestimmten Bedingungen zulässig.
Pflegegrad und rechtliche Verantwortung
Personen mit Pflegebedarf können einen Pflegegrad (1–5) beantragen. Ab Pflegegrad 2 besteht Anspruch auf diverse Unterstützungsleistungen, darunter:
- Pflegegeld für häusliche Pflege durch Angehörige
- Sachleistungen bei Einsatz ambulanter Pflegedienste
- Verhinderungspflege zur zeitweisen Entlastung pflegender Angehöriger
Die medizinische Versorgung inklusive richtiger Medikamentengabe ist dabei entweder ärztlich angeordnet (Behandlungspflege) oder Teil der Grundpflege. Wird ein ambulanter Pflegedienst beauftragt, übernimmt dieser das Medikamentenmanagement auf fachlich gesicherter Grundlage.
Für Angehörige bedeutet das juristisch gesehen: Rechtlich verantwortlich für die ordnungsgemäße Medikation sind entweder der behandelnde Arzt oder die beauftragte Pflegefachkraft – nicht aber eine Betreuungskraft.
Emotionale und praktische Herausforderungen für Familien
Pflegende Angehörige zwischen Verantwortung und Überforderung
Viele Familien übernehmen die Pflege aus moralischem Pflichtgefühl, Liebe oder dem Wunsch, den Eltern einen Verbleib in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Dabei geraten sie – vor allem beim Thema Medikation – häufig in einen Zwiespalt zwischen fachlichen Anforderungen und persönlicher Fürsorge.
„In der Pflege verschwimmen oft die Rollen – Tochter, Betreuerin, Verwalterin und Krankenschwester in einem. Das kann auf Dauer überfordern.“ – berichtet Dr. Johanna Krüger, Pflegewissenschaftlerin aus Köln.
Insbesondere bei komplexen Medikationsplänen (mit mehr als 5 Präparaten täglich) ist die Gefahr von Fehlern hoch:
- Unregelmäßige Einnahmezeiten
- Verwechslung von Medikamenten
- Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln
- Unklare Zuständigkeiten zwischen Angehörigen und Betreuungskraft
Kommunikation ist entscheidend
Damit das Medikamentenmanagement sicher erfolgen kann, empfiehlt es sich, klare Zuständigkeiten und Prozesse festzulegen. Dazu gehören:
- Ein strukturierter Medikamentenplan, am besten vom Arzt bestätigt
- Die Anordnung, wer das Richten der Medikamente übernimmt (z. B. ambulanter Dienst)
- Die Information der Betreuungskraft über Einnahmezeiten und Hinweise (z. B. mit oder ohne Nahrung)
- Regelmäßige Absprache zwischen beteiligten Parteien: Angehörige, Hausarzt, Pflegedienst, Betreuungskraft
„Wichtig ist es, eine offene Gesprächskultur zu fördern und Unsicherheiten nicht zu verbergen. Lieber einmal zu viel fragen als einen Fehler riskieren.“ – so die Empfehlung von Martin Albrecht, examinierter Altenpfleger und Pflegeberater aus Dresden.
Unterschiede zwischen häuslicher und institutioneller Betreuung
Die Form, in der Pflege organisiert wird, hat erhebliche Auswirkungen auf den Umgang mit Medikamenten.
Häusliche Pflege mit Betreuungskraft
In diesem Modell bleibt die alltägliche Versorgung in den Händen der Familie, ergänzt durch eine nicht-medizinische Betreuungskraft (häufig über eine Vermittlungsagentur aus Osteuropa angestellt oder selbstständig tätig). Diese kann bei folgenden Aufgaben hilfreich sein:
- Erinnern an die Medikamenteneinnahme
- Beobachtung und Weitergabe von Reaktionen oder Nebenwirkungen
- Anreichen vorbereiteter Medikamente
Allerdings darf sie nicht:
- Medikationen selbstständig dosieren oder ändern
- Injektionen, Infusionen oder andere medizinische Maßnahmen durchführen
Verantwortlich für die sichere Verabreichung bleibt die Familie bzw. ein professioneller Pflegedienst, der ergänzend beauftragt werden kann – auch zeitweise im Rahmen der sogenannten Verhinderungspflege.
Ambulante Pflegedienste
Ambulante Dienste bieten durch ausgebildetes Fachpersonal zahlreiche Leistungen im Bereich der Behandlungspflege an, darunter:
- Richtige Dosierung und Gabe der Medikamente
- Erstellung eines Medikamentenplans in Absprache mit dem Arzt
- Kontrolle von Lagerung und Verfallsdaten
- Dokumentation sämtlicher Maßnahmen
Diese Dienstleistungen werden, wenn ärztlich verordnet, meist von der Krankenkasse übernommen. Der ergänzende Einsatz eines ambulanten Dienstes zur Medikamentenvergabe in Kombination mit einer Betreuungskraft hat sich in vielen Haushalten bewährt.
Stationäre Pflegeeinrichtungen
In Pflegeheimen übernimmt ausschließlich medizinisch geschultes Personal die Medikamentenvergabe. Interne Prozesse sorgen in der Regel für Sicherheit, Kontinuität und Dokumentation. Angehörige sind hier vor der direkten Verantwortung entlastet, was für viele eine Entscheidungserleichterung darstellt.
„In der stationären Pflege sind wir rechtlich und fachlich auf der sicheren Seite – dafür leidet manchmal die Individualität.“ – so die Pflegeleiterin Heike Baumann aus München.
Tipps zur besseren Organisation des Medikamentenmanagements
Ein funktionierendes Medikamentenmanagement entlastet nicht nur die Pflegebedürftigen, sondern auch alle Beteiligten. Folgende Empfehlungen können hilfreich sein:
- Tablettendispenser oder elektronische Medikamentenspender verwenden
- Regelmäßige Pflegevisiten mit Pflegefachkräften und Ärzten einplanen
- Dokumentation führen (z. B. Medikamentenprotokoll)
- Auf Weiterbildungsmöglichkeiten für Angehörige achten (z. B. Kurs „Pflege zuhause“ über Pflegekassen)
- Pflegeberatung in Anspruch nehmen – z. B. durch die Pflegekasse oder unabhängige Beratungsstellen
Fazit: Verantwortung neu denken – Sicherheit durch Zusammenarbeit
Die Frage, ob Betreuungskräfte Medikamente verabreichen dürfen, ist nicht nur rechtlich, sondern auch menschlich bedeutsam. Klare gesetzliche Vorgaben schützen Pflegebedürftige vor fehlerhafter Medikation, stellen jedoch Familienmitglieder oft vor organisatorische Herausforderungen. In einer Pflegelandschaft, die zunehmend auf Mischformen zwischen familiärer Betreuung, externer Hilfe und professionellen Diensten setzt, ist Kooperation das Schlüsselwort.
Betreuungskräfte spielen eine wichtige Rolle im Alltag älterer Menschen – doch das Medikamentenmanagement sollte unbedingt durch Fachpersonal begleitet oder übernommen werden. Angehörige sollten sich nicht scheuen, Unterstützung einzufordern und die verfügbaren Ressourcen zu nutzen.
Wer sich unsicher ist, hat mehrere Optionen:
- Beratung bei der Pflegekasse oder dem Pflegestützpunkt in Anspruch nehmen
- Entlastungsangebote wie die Verhinderungspflege planen
- Informationen zu steuerlichen Vorteilen bei Pflege geltend machen
Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ein sicherer und bewusster Umgang mit Medikamenten schützt nicht nur die Gesundheit der Pflegebedürftigen, sondern gibt auch Angehörigen die nötige Sicherheit, umsichtig und mit klarem Gewissen zu handeln.