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Versicherungsschutz für Betreuungskraft und Senior: Wer haftet im Schadensfall

Was passiert, wenn die Betreuungskraft oder der Senior zu Hause einen Unfall hat? Diese Frage stellt sich vielen Menschen, die Verantwortung für die Pflege eines älteren Angehörigen übernehmen oder über eine fremdorganisierte Betreuung nachdenken. In einer alternden Gesellschaft wie der deutschen, in der die Zahl der Pflegebedürftigen kontinuierlich steigt, gewinnt die rechtliche, finanzielle und emotionale Absicherung aller Beteiligten im Pflegeprozess an zentraler Bedeutung. Unfälle im häuslichen Umfeld, Missverständnisse bei der Haftung und Unsicherheiten beim Versicherungsschutz können schwerwiegende Konsequenzen für alle Beteiligten haben – nicht nur ökonomisch, sondern auch psychisch und sozial. Dieser Artikel beleuchtet umfassend, wer im Schadensfall haftet, welche Versicherungen relevant sind, wie die Verantwortung zwischen Angehörigen, Betreuungskräften und Organisationen verteilt wird und worauf Sie als Betroffener achten sollten, um rechtlich und menschlich auf der sicheren Seite zu stehen.

Die Pflege zu Hause: Eine persönliche, aber komplexe Verantwortung

Die Pflege im eigenen Zuhause ist für viele Senioren der bevorzugte Weg des Alterns. Sie erlaubt den Verbleib in vertrauter Umgebung, unterstützt individuelle Bedürfnisse und stärkt das Gefühl von Autonomie. Angehörige übernehmen nicht selten die Rolle der pflegenden Person – teilweise unterstützt durch ambulante Dienste oder sogenannte 24-Stunden-Betreuungskräfte aus dem Ausland.

Doch mit der Entscheidung für eine häusliche Pflege gehen auch Verantwortlichkeiten einher, die über die körperliche Betreuung hinausgehen.

Emotionale Herausforderungen und rechtliche Graubereiche

Die Pflege eines Familienmitglieds belastet viele Angehörige emotional stark: Es geht um Liebe, Pflichtgefühl, Angst vor Fehlern und Zukunftssorgen. Dieses Engagement kollidiert oft mit Unsicherheiten in rechtlichen und versicherungstechnischen Fragen. Was passiert, wenn sich die Betreuungskraft im Dienst verletzt? Wer kommt für Schäden auf, wenn der Senior die teure Brille der Pflegeperson versehentlich zerstört?

*„Pflege ist nie nur eine fachliche Leistung – sie ist immer auch Beziehung, Verantwortung und Vertrauen“*, sagt Dr. Helene Schneider, Juristin und Pflegeethikerin aus Frankfurt.

Das Missverständnis vom privaten Raum

Viele Menschen gehen fälschlicherweise davon aus, dass im privaten Raum andere Regeln gelten und Unfälle „schicksalhaft“ sind. Tatsächlich greift hier jedoch eine Vielzahl an rechtlichen Regelungen, deren Kenntnis entscheidend darüber sein kann, ob im Schadensfall Versicherungsschutz besteht – oder nicht.

Grundlagen des Versicherungsschutzes im Pflegekontext

Es gibt verschiedene Möglichkeiten der häuslichen Pflege:

  • Pflege durch Angehörige ohne externe Hilfe
  • Pflege mit Unterstützung durch professionelle ambulante Pflegedienste
  • Pflege durch selbstständige oder entsandte Betreuungskräfte (z. B. „24-Stunden-Betreuung“)
  • Pflege in Pflegeeinrichtungen (Pflegeheim)

Je nach Modell unterscheiden sich Haftungsfragen und der notwendige Versicherungsschutz erheblich.

Private Haftpflichtversicherung

Für Senioren: Jeder pflegebedürftige Senior sollte über eine private Haftpflichtversicherung verfügen. Diese deckt in der Regel Schäden, die die versicherte Person Dritten zufügt. Wichtig: Senioren mit Demenz oder eingeschränkter Geschäftsfähigkeit benötigen oft einen erweiterten Schutz, da viele Standardverträge Schäden durch „deliktunfähige“ Personen ausschließen.

Für Angehörige: Pflegende Angehörige sind häufig über ihre eigene private Haftpflichtversicherung abgesichert, sofern sie die Pflege unentgeltlich leisten. Auch hier lohnt ein Blick in die Vertragsbedingungen, um etwaige Ausschlüsse zu erkennen.

Für Betreuungskräfte: Bei selbstständig tätigen Pflegekräften ist eine eigene Berufshaftpflichtversicherung Pflicht. Diese deckt Schäden ab, die im Rahmen der beruflichen Tätigkeit verursacht werden – etwa das Fallenlassen eines wertvollen Gegenstands im Haushalt des Seniors. Handelt es sich um eine entsandte Arbeitskraft (z. B. über ein osteuropäisches Unternehmen), muss der Arbeitgeber für den Versicherungsschutz sorgen.

Gesetzliche Unfallversicherung

Pflegende Angehörige sind automatisch über die gesetzliche Unfallversicherung bei der Unfallkasse abgesichert, sofern sie mindestens 10 Stunden pro Woche pflegen und der Pflegebedürftige einen Pflegegrad hat. Dies gilt als sogenannte „Pflegeperson“ nach § 44 SGB XI. Der Versicherungsschutz greift bei Unfällen während der Pflege und auf dem direkten Weg zur Pflege.

Professionelle Pflegedienste sind über ihren Arbeitgeber gesetzlich unfallversichert. Anders verhält es sich bei selbstständigen Betreuungskräften – sie müssen sich selbst um eine freiwillige Absicherung kümmern oder diese über ihren Status beim Entsendeunternehmen erhalten.

Hausrat- und Gebäudeversicherung

Wenn durch pflegerische Tätigkeit ein Schaden am Haus oder an dessen Ausstattung entsteht – etwa in der Küche durch Fettbrand beim Kochen durch die Betreuungskraft – kann unter Umständen die Gebäude- oder Hausratversicherung einspringen. Ein vorheriger Kontakt mit der Versicherungsgesellschaft ist ratsam, um den genauen Umfang des Schutzes zu klären.

Wer haftet konkret im Schadensfall?

Die Haftungsfrage ist immer vom jeweiligen Kontext abhängig. Drei exemplarische Fallbeispiele verdeutlichen die Bandbreite:

Fall 1: Die Pflegekraft stürzt auf der Treppe

Wenn eine angestellte Pflegekraft bei der Arbeit im Haus des Seniors stürzt, haftet in der Regel die gesetzliche Unfallversicherung des Arbeitgebers. Bei einer selbstständig tätigen Betreuungskraft sieht es anders aus: Sie muss sich selbst unfallversichern, sonst bleibt sie auf den medizinischen Kosten sitzen.

Fall 2: Der Senior beschädigt versehentlich den Laptop der Pflegekraft

Tritt dieser Fall bei einem demenziell veränderten Menschen ein, kommt es auf die Haftpflichtversicherung des Seniors an. Ist dieser deliktunfähig, muss geprüft werden, ob eine Spezialklausel im Versicherungsvertrag greift – andernfalls gibt es keine Erstattung. Die Pflegekraft kann in diesem Fall auf dem Schaden sitzen bleiben, sofern sie keine eigene Absicherung berücksichtigt hat.

Fall 3: Der Senior stürzt beim Duschen unter Aufsicht der Betreuungskraft

Evtl. liegt hier ein Pflegefehler oder eine Verletzung der Aufsichtspflicht vor. Je nach Beschäftigungsmodell kann sowohl die Betreuungskraft (z. B. bei grober Fahrlässigkeit) als auch der betreibende Dienstleister haftbar gemacht werden. Eine Berufshaftpflichtversicherung wäre für diesen Fall essenziell.

Steuerliche und organisatorische Absicherung

Pflegegrad und Pflegegeld

Pflegebedürftige mit anerkanntem Pflegegrad (1–5) haben Anspruch auf diverse Leistungen der Pflegeversicherung, darunter das Pflegegeld für selbst organisierte Pflege sowie die Sachleistungen bei Inanspruchnahme von Pflegediensten. Diese Gelder können auch verwendet werden, um privat organisierte Betreuung finanziell zu sichern.

Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege

Bei Ausfall der Pflegeperson – etwa durch Krankheit – kann die Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI greifen. Sie ermöglicht eine stunden- oder tageweise Vertretung und übernimmt dabei auch die Kosten, bis zu 1.612 Euro jährlich (ggf. kombinierbar mit Kurzzeitpflege).

Pflegeberatung und Pflegezeitgesetz

Die Pflegekassen bieten eine kostenlose Pflegeberatung an, in der auch rechtliche und versicherungstechnische Fragen geklärt werden können. Zudem ermöglicht das Pflegezeitgesetz Angehörigen, sich für bis zu sechs Monate von der Arbeit freistellen zu lassen, um sich der Pflege zu widmen.

*„Die frühe Klärung von Zuständigkeiten gibt nicht nur rechtliche Sicherheit, sondern erleichtert auch das Miteinander, wenn alle wissen, worauf sie sich verlassen können“*, betont Thomas Rehm, Pflegeberater bei der AOK Bayern.

Pflege im Heim: Andere Regeln, andere Absicherung

In Pflegeeinrichtungen gelten andere Haftungsvoraussetzungen als im privaten Umfeld. Hier trägt die Einrichtung die Hauptverantwortung für Unfallschutz und Schadensersatz.

Pflegeverträge und Haftungsbeschränkungen

Pflegeheime schließen mit dem Bewohner bzw. dessen gesetzlichem Vertreter Pflegeverträge ab. Wichtig ist, hier die Klauseln zur Haftung genau zu prüfen – manche Heime schließen eine Haftung bei Verlust persönlicher Gegenstände aus.

Versicherungsschutz von Pflegepersonal

Das Pflegepersonal in Einrichtungen ist über den Träger gegen Berufsrisiken abgesichert – das schließt sowohl die gesetzliche Unfallversicherung als auch die Berufshaftpflicht ein. Bewohner sind jedoch zumeist weiterhin selbst für ihre eigene Haftpflichtversicherung verantwortlich, insbesondere für Schäden an anderen Bewohnern.

Was Sie jetzt tun können – praktische Empfehlungen

Um im Schadensfall nicht böse überrascht zu werden, sollten alle Beteiligten proaktiv vorsorgen:

  • Private Haftpflichtversicherung prüfen oder abschließen, insbesondere bei Senioren mit kognitiven Erkrankungen
  • Berufshaftpflicht für Betreuungskräfte sicherstellen, wenn selbstständig tätig
  • Unfallversicherung für pflegende Angehörige registrieren – dies geschieht z. B. bei Antragstellung des Pflegegeldes automatisch
  • Pflegeberatung der Krankenkasse in Anspruch nehmen, idealerweise bereits bei Einstufung in einen Pflegegrad
  • Pflegevertrag bei organisierten Lösungen sorgfältig prüfen, insbesondere bei Vermittlungsagenturen für Betreuungspersonal
  • Steuerliche Entlastungen nutzen, etwa durch die Anerkennung haushaltsnaher Dienstleistungen oder außergewöhnlicher Belastungen

Fazit: Sicherheit schafft Vertrauen – in der Pflege unerlässlich

Pflege – ob zu Hause oder in einer Einrichtung – ist eine tief menschliche Aufgabe, die neben Fürsorge auch Verantwortung verlangt. Der Schutz vor finanziellen Risiken im Schadensfall ist dabei nicht nur eine Frage der Absicherung, sondern auch des Respekts gegenüber allen Beteiligten. Wer frühzeitig Klarheit über Haftungsfragen schafft, Versicherungen prüft und Verträge transparent gestaltet, trägt aktiv zu einem wertschätzenden, stabilen Pflegerahmen bei.

Im Sinne aller Beteiligten lohnt sich daher ein klärendes Gespräch: mit der Pflegekasse, einem Versicherungsberater oder einem Pflegeverband. Die Herausforderungen der Pflege lassen sich nicht wegorganisieren – aber sie lassen sich rechtlich und menschlich sicherer gestalten.

*„Unfälle sind nicht immer vermeidbar – aber ihre Folgen lassen sich mindern, wenn man vorbereitet ist“*, sagt Dr. Schneider. Ein beruhigender Gedanke inmitten eines komplexen Alltags.

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