Was kostet es, keine Pflegekraft zu haben? Die versteckten Kosten von Unfällen und Arbeitsausfall


Was riskiere ich, wenn ich die Entscheidung, eine Betreuungskraft einzustellen, aufschiebe?

In einer alternden Gesellschaft wie Deutschland stehen immer mehr Familien vor der Entscheidung, wie sie die Pflege ihrer älteren Angehörigen organisieren sollen. Viele von ihnen zögern jedoch, eine professionelle Betreuungskraft zu engagieren – oft aus finanziellen Gründen, Unsicherheit oder emotionaler Überforderung. Doch was kostet es wirklich, diese Entscheidung aufzuschieben? Und welche – oft unterschätzten – Risiken bringt dieser Aufschub mit sich?

Dieser Artikel beleuchtet umfassend die verborgenen Kosten, die entstehen können, wenn auf eine kontinuierliche Pflege verzichtet wird – von gesundheitlichen Folgeschäden bis hin zu finanziellen und rechtlichen Konsequenzen. Er richtet sich an alle, die sich um einen älteren Angehörigen kümmern oder vor der Frage stehen, ob und wann sie externe Hilfe organisieren sollen. Ziel ist es, fundierte Informationen bereitzustellen, die eine reflektierte und selbstbestimmte Entscheidung ermöglichen.

Der demografische Wandel und seine Auswirkungen auf Familien

Deutschland gehört zu den Ländern mit der ältesten Bevölkerungsstruktur weltweit. Laut Statistischem Bundesamt wird der Anteil der über 67-Jährigen bis zum Jahr 2035 auf fast 24 Millionen steigen. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Menschen ab, die potenziell Pflege leisten können – sei es im familiären oder professionellen Kontext.

Pflege findet überwiegend zu Hause statt

Rund 80 % der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden im häuslichen Umfeld betreut – meist durch Angehörige. Der Wunsch, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden zu bleiben, ist weit verbreitet. Doch was, wenn die notwendige Unterstützung nicht schnell genug organisiert wird?

Herausforderungen pflegender Angehöriger

Pflegende Angehörige stehen häufig unter großem Druck:

  • Emotionale Belastungen wie Schuldgefühle, Überforderung oder soziale Isolation
  • Fehlende Fachkenntnisse in Bezug auf Pflege, Medikamente oder Krankheitsverläufe
  • Organisatorische Schwierigkeiten, z. B. Koordination von Terminen, Anträgen etc.
  • Wirtschaftliche Einbußen, z. B. Reduktion der Arbeitszeit oder beruflicher Ausstieg

Das zögerliche Handeln oder die Hoffnung, „es irgendwie selbst zu schaffen“, kann unbeabsichtigte, aber schwerwiegende Folgen haben.

Die versteckten Kosten fehlender Pflegeunterstützung

Gesundheitliche Risiken für die pflegebedürftige Person

Ohne regelmäßige Betreuung steigen die gesundheitlichen Risiken für ältere Menschen deutlich. Studien zeigen, dass Unterversorgung im Alltag – etwa bei Ernährung, Hydration oder Medikamentengabe – gravierende Auswirkungen hat.

  • Sturzrisiko: Ohne Betreuung steigt die Gefahr von Unfällen im Haushalt massiv. Ein unbeaufsichtigter Sturz kann zum Oberschenkelhalsbruch führen – oft mit langfristigen Folgen oder Immobilität.
  • Vernachlässigung bei Medikamenten: Wenn Tabletten nicht richtig eingenommen werden, drohen plötzliche Verschlechterungen chronischer Erkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck.
  • Soziale Isolation: Fehlender Kontakt kann zu Depressionen und kognitivem Abbau führen.

„Wird Pflege nicht rechtzeitig organisiert, entstehen Lücken – und diese Lücken bedeuten reale Gefahr für Leib und Leben“, erklärt Dr. Erika Thomsen, Fachärztin für Geriatrie aus Leipzig.

Finanzielle Auswirkungen bei Unfällen oder Klinikaufenthalten

Wer bei einem Pflegebedürftigen zu lange auf professionelle Unterstützung verzichtet, läuft Gefahr, dass ein vermeidbarer Unfall zu einem Notfall wird – mit hohen Kosten:

  • Krankenhausaufenthalte: Ein stationärer Aufenthalt kostet die Krankenkassen mehrere tausend Euro. Die Eigenanteile belasten oft zusätzlich die Familie.
  • Nachsorge: Nach einer Reha wird häufig eine intensivere Betreuung notwendig – dabei steigen auch Kosten für Hilfsmittel, ambulante Dienste oder Umbaumaßnahmen.
  • Beruflicher Arbeitsausfall: Angehörige müssen im Notfall spontan Urlaub nehmen oder ihre Stunden reduzieren. Das schlägt sich mittel- und langfristig im Gehalt und in der Rente nieder.

Risiken für den pflegenden Angehörigen

Auch wer sich selbst um alles kümmert, trägt gesundheitliche und rechtliche Risiken.

  • Burnout und Erschöpfung: Viele pflegende Angehörige leiden unter chronischem Stress. Laut einer Umfrage der Barmer Krankenkasse von 2023 fühlen sich 65 % regelmäßig überfordert.
  • Karrierehemmnisse: Wer Pflege mit Beruf vereinbaren möchte, hat häufig Nachteile im Arbeitsleben – v. a. Frauen sind betroffen.
  • Rechtliche Verantwortung: Ohne Fachkenntnis kann es zu Fehlversorgungen kommen – bei Medikamenten oder bei einem Sturz kann das haftungsrechtliche Konsequenzen haben.

„In der Pflege zählen nicht nur gute Absichten – auch Kenntnisse, Präsenz und rechtzeitige Reaktionen sind entscheidend“, sagt Markus Vollenberg, Pflegeberater mit langjähriger Erfahrung im Raum Nordrhein-Westfalen.

Institutionelle und ambulante Unterstützung – wann sie greift

Nicht immer ist eine Pflegekraft rund um die Uhr notwendig. Doch die verfügbaren Pflegeangebote in Deutschland sind vielfältig und können bereits mit Pflegegrad 2 in Anspruch genommen werden.

Leistungen der Pflegeversicherung verstehen

Wer einen offiziell anerkannten Pflegegrad hat (1–5), hat Anspruch auf verschiedene Leistungen. Eine rechtzeitige Antragstellung bei der Pflegekasse ist essenziell.

  • Pflegegeld: Wird direkt an die pflegebedürftige Person oder die betreuenden Angehörigen ausgezahlt (z. B. bei häuslicher Pflege durch Familie).
  • Pflegesachleistungen: Finanzierung professioneller Pflegeleistungen durch ambulante Dienste.
  • Verhinderungspflege: Bis zu 1.612 € jährlich für Ersatzpflege, etwa bei Erschöpfung oder Krankheit der Hauptpflegeperson.
  • Kurzzeitpflege: Max. 1.774 € jährlich – nützlich nach einem Krankenhausaufenthalt zur Übergangsphase.

Pflege zu Hause: Betreuungskräfte, Tagespflege, ambulante Dienste

Je nach Bedarf und Budget stehen verschiedene Modelle zur Verfügung:

  • 24-Stunden-Betreuungskräfte: Meist aus Osteuropa, wohnen mit im Haushalt. Organisation über Dienstleister, Achtung auf legale Beschäftigung!
  • Ambulanter Pflegedienst: Kommt je nach Bedarf täglich oder mehrmals pro Woche für Grundpflege, Medikamentengabe etc.
  • Tagespflege: Entlastet Angehörige tagsüber. Transport und Aktivitäten inklusive.
  • Angehörigenschulung: Pflegeschulungen werden kostenlos über die Pflegekasse angeboten.

Pflegeheim als letzte Option?

Stationäre Einrichtungen bieten Rundumversorgung, sind aber hochpreisig. Der monatliche Eigenanteil beträgt in Deutschland durchschnittlich 2.411 € (Stand 2024 laut VdK). Ein Umzug ins Heim kann emotional belastend sein, ist jedoch manchmal unumgänglich.

Wichtige Überlegungen vor einer Pflegeentscheidung

Wie kann ich den richtigen Zeitpunkt für Pflegeunterstützung erkennen?

Warnsignale wie häufige Stürze, Orientierungsprobleme oder neue medizinische Diagnosen sollten ein Anlass sein, Unterstützung einzufordern – nicht erst handeln, wenn ein Notfall eintritt.

Welche Rolle spielt das soziale Umfeld?

Auch Nachbarn, Freunde oder Ehrenamtliche können Teil eines Pflegekonzepts sein. Doch die Koordination und Regelmäßigkeit sind entscheidend. Eine Aufgabenteilung mit professionellen Kräften erhöht die Stabilität des Alltags.

Emotionen benennen und einbeziehen

Pflegeverantwortung bringt oft Schuldgefühle mit sich – besonders, wenn man merkt, dass man an seine Grenzen stößt. Es ist jedoch weder ein persönliches Versagen noch ein Beweis mangelnder Liebe, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

„Wer sich Hilfe holt, erhält nicht nur Unterstützung für den Pflegebedürftigen, sondern auch neue Ressourcen für sich selbst“, betont Susanne Liebhart, Sozialarbeiterin und Familienberaterin in Frankfurt am Main.

Fazit: Pflege lässt sich nicht dauerhaft aufschieben

Wer die Entscheidung, Pflegehilfe zu organisieren, zu lange aufschiebt, riskiert gesundheitliche, finanzielle und emotionale Krisen – sowohl für sich selbst als auch für die pflegebedürftige Person. Unfälle, Krankenhausaufenthalte und Überbelastung lassen sich in vielen Fällen vermeiden, wenn frühzeitig gehandelt wird.

Besonders in einer alternden Gesellschaft ist es wichtig, Pflege als gemeinschaftliche Aufgabe zu verstehen – getragen von Familie, Fachkräften und gesellschaftlichen Strukturen.

Wer vor einer Pflegeentscheidung steht, sollte sich umfassend informieren:

  • Kontaktaufnahme mit einer Pflegeberatung der Krankenkasse oder lokalen Pflegeeinrichtungen
  • Prüfung möglicher steuerlicher Erleichterungen (z. B. haushaltsnahe Dienstleistungen, Behindertenpauschbetrag)
  • Ermittlung des konkreten Bedarfs mitsamt Pflegegradeinstufung
  • Schrittweise Einführung externer Unterstützung – z. B. über stundenweise Betreuung

Die Pflege eines Angehörigen ist ein bedeutender Teil des Lebens – sie verdient Unterstützung, Klarheit und strategische Planung. Frühzeitiges Handeln schützt nicht nur Ihre Liebsten, sondern auch Ihre eigene Gesundheit, Stabilität und Zukunft.


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