Ist die Betreuungskraft nach ihrer Ankunft in Deutschland auf sich allein gestellt? Diese Frage beschäftigt viele Familien, die sich dazu entschließen, eine Betreuungskraft in die häusliche Pflege eines Angehörigen einzubinden – sei es über Agenturen, selbstständig organisiert oder in Zusammenarbeit mit ambulanten Pflegediensten. In einem alternden Deutschland, in dem der Anteil der Menschen über 65 Jahre stetig wächst, ist die Pflege älterer Menschen eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Zugleich stehen betreuende Angehörige und Betreuungskräfte selbst vor vielfältigen Anforderungen: körperlicher Einsatz, emotionale Belastung, rechtliche Fragen und eine oft unklare Rollenverteilung.
Dieser Artikel beleuchtet, wie Betreuungskräfte bei ihrer Ankunft und während ihrer gesamten Tätigkeit in Deutschland unterstützt werden können – durch gezielte Schulungen, den Aufbau von Gemeinschaft sowie professionelle Begleitung. Ziel ist es, nicht nur die Betreuungskraft wertzuschätzen, sondern auch den betreuten Personen und ihren Angehörigen ein stabiles, menschliches und rechtlich abgesichertes Pflegeumfeld zu ermöglichen.
Die Realität der häuslichen Pflege in Deutschland
In Deutschland werden rund fünf Millionen Menschen als pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI) eingestuft. Der größte Teil – fast 80 % – wird zu Hause versorgt, meist durch Angehörige, teilweise ergänzt durch ambulante Dienste oder 24-Stunden-Betreuungskräfte.
Diese Form der Betreuung erfolgt oft unter großem persönlichem Einsatz der Beteiligten – verbunden mit organisatorischen Fragen, emotionalem Stress und der Sorge um Qualität und Legalität. In diesem komplexen Feld darf die Betreuungskraft nicht allein gelassen werden.
Herausforderungen für Betreuungskräfte – mehr als nur Pflege
Betreuungskräfte, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen – häufig aus Osteuropa –, stehen vor einer Vielzahl von Herausforderungen:
- Sprachbarrieren erschweren Kommunikation mit der pflegebedürftigen Person, Angehörigen und ggf. medizinischem Personal.
- Die rechtliche Unsicherheit über ihren Status als Selbständige oder entsandte Kräfte ist belastend – insbesondere bei Unklarheiten in der Vertragsgestaltung.
- Oft fehlt eine strukturelle Einbindung ins Pflegesystem, sodass keine systematische Unterstützung oder Supervision erfolgt.
- Kulturelle Unterschiede im Umgang mit älteren Menschen oder im Alltag können zu Spannungen führen.
- Emotionale Belastungen durch Isolation, Trauerarbeit und Verantwortung wirken sich auf die mentale Gesundheit der Betreuungskraft aus.
„In der Betreuung zählt nicht nur die Fürsorge, sondern auch die professionelle Begleitung derer, die betreuen“, sagt Dr. Sabine Albrecht, Pflegewissenschaftlerin an der Universität Freiburg. „Wenn wir Betreuungskräften keine Ressourcen zur Verfügung stellen, ist die Qualität der Pflege für alle Beteiligten gefährdet.“
Gezielte Schulungen – Wissen schafft Sicherheit und Orientierung
Ein zentrales Element der Unterstützung ist die fachliche Vorbereitung von Betreuungskräften auf ihre Tätigkeit. Professionelle Schulungen decken nicht nur pflegerische Grundlagen ab – sie erlauben es, Unsicherheiten zu reduzieren und Wissen in den Bereichen Kommunikation, Demenzverständnis, Hygiene oder Notfallmanagement aufzubauen.
Inhalte sinnvoller Schulungen
Folgende Schulungsthemen haben sich als besonders praxisrelevant erwiesen:
- Grundpflege (z. B. Körperpflege, Mobilisation, Lagerung)
- Demenz und Verhalten: Grundverständnis, Umgang mit typischen Symptomen, Validation
- Kommunikation mit Pflegebedürftigen und Angehörigen, insbesondere bei Sprachbarrieren
- Rechtliche Grundlagen: Schweigepflicht, Notfallregelungen, Umgang mit Medikamenten
- Kulturelle Sensibilität und interkulturelles Konfliktmanagement
Diese Schulungen können durch Online-Module, Präsenzseminare oder E-Learning-Plattformen organisiert werden. Besonders wirksam zeigen sich Schulungskonzepte in der Muttersprache – ergänzt durch interaktive Elemente wie Rollenspiele oder Fallbesprechungen.
„Eine betreuende Person, die versteht, wie zum Beispiel Demenz funktioniert, ist nicht nur handlungssicherer, sondern auch empathischer“, erläutert Dr. Albrecht.
Wer trägt die Kosten?
Die Finanzierung solcher Schulungen ist nicht eindeutig geregelt. In manchen Fällen übernehmen Vermittlungsagenturen die Kosten, in anderen zahlen die Betreuungskräfte selbst. Fördermöglichkeiten bestehen etwa über Träger der freien Wohlfahrtspflege oder in Form von Bildungsprämien. Auch Familien können sich im Rahmen der Steuererklärung an den Kosten beteiligen, wenn eine Fortbildung Teil eines ordnungsgemäßen Dienstverhältnisses ist.
Gemeinschaft stärken – Isolation entgegenwirken
Ausländische Betreuungskräfte leben während ihrer Tätigkeit häufig direkt im Haushalt der pflegebedürftigen Person – meist über Wochen oder Monate hinweg. Der Alltag ist auf das Leben der betreuten Person ausgerichtet, Privatsphäre ist nur bedingt vorhanden.
Risiko der sozialen Isolation
Mangelnder Kontakt zu Kolleginnen, fehlende Freizeitangebote und Sprachhürden führen oft dazu, dass sich Betreuungskräfte allein fühlen. Das hat nicht nur emotionale Folgen, sondern wirkt sich auch auf die Pflegequalität aus.
„Pflege darf keine Einbahnstraße sein – auch die Pflegenden brauchen Fürsorge“, betont Michael Ritter, Sozialarbeiter und Supervisor im Bereich der häuslichen Betreuung.
Beispiele gelungener Vernetzung
Es gibt zunehmend Initiativen, die Raum für Begegnung, Austausch und soziale Stabilität schaffen:
- Regelmäßige Treffen für Betreuungskräfte, organisiert durch Gemeinden, Wohlfahrtsverbände oder Migrantenorganisationen
- Patenschaftsmodelle, bei denen deutsche Familien oder Ehrenamtliche eine Betreuungskraft in ihren sozialen Kreis einladen
- Online-Foren oder WhatsApp-Gruppen für
- Seelsorge-Angebote für Betreuungskräfte in emotional belastenden Situationen
Solche sozialen Strukturen sind entscheidend, um Betreuung nicht als Einsamkeit, sondern als Teilhabe zu erleben – für alle Beteiligten.
Ständige Begleitung – Qualitätssicherung durch professionelle Strukturen
Um Pflege langfristig tragfähig zu gestalten, ist eine kontinuierliche Begleitung nötig. Diese betrifft sowohl organisatorische Fragen (z. B. Pflegeleistung, Verträge), als auch emotionale und gesundheitliche Aspekte der Betreuungskraft selbst.
Begleitung durch Pflegeberatung
Pflegekassen bieten gemäß § 7a SGB XI einen Anspruch auf Pflegeberatung – auch durch unabhängige Stellen wie den Pflegestützpunkt oder freie Träger.
Die Beratung hilft nicht nur Angehörigen, sondern auch Betreuungskräften indirekt, da sie professionelle Unterstützung, Struktur und Entlastungsmöglichkeiten aufzeigt:
- Erstellung eines Pflegeplans mit Einbindung aller Beteiligten
- Hinweis auf Leistungen wie Verhinderungspflege oder Pflegegeld
- Information über **Urlaubsvertretungen, Pflegekurse für Angehörige, 24-Stunden-Modelle**
- Vermittlung an psychosoziale Hilfsangebote
Vertragliche und rechtliche Sicherheit
Viele Betreuungssituationen werden nach wie vor in rechtlichen Grauzonen organisiert. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts von 2021 zur Bezahlung des Bereitschaftsdienstes bei 24-Stunden-Betreuung war ein Signal für mehr Rechtssicherheit.
Hier sind klare, transparente Verträge mit Arbeitszeiten, Vergütung und Zuständigkeiten unabdingbar. Empfohlen wird zudem:
- Prüfung durch eine spezialisierte Pflegeberatung oder Rechtsanwalt
- Nutzung von regulierten Dienstleistern mit Tarifbindung und Fortbildungsangeboten
- Einbindung in das Pflegenetzwerk Deutschland oder regionale Pflegekoordinationsstellen
Betreuung im institutionellen Kontext – wie Pflegeheime unterstützen
Auch in Pflegeheimen oder bei ambulanten Diensten spielt die Förderung von Betreuungskompetenz eine große Rolle. Hier ist das Pflegepersonal meist ausgebildet, dennoch profitieren alle Beteiligten von ergänzenden Schulungen oder Supervision, etwa in der Sterbebegleitung, im Umgang mit psychischen Erkrankungen oder bei interkulturellen Konflikten.
„In Einrichtungen sollte die emotionale Belastung des Personals genauso ernst genommen werden wie die der Bewohnenden“, so Dr. Anna Friedrich, Leiterin der geriatrischen Fachpflege in Köln.
Reguläre Teambesprechungen, externe Supervision und kontinuierliche Fortbildung sind etablierte Mittel zur Qualitätssicherung in institutionellen Kontexten. Der Personalnotstand erschwert jedoch die Umsetzung – umso wichtiger ist die politische Debatte über Arbeitsbedingungen, Bezahlung und Ausbildungsstandards.
Fazit – eine unterstützte Betreuung ist eine bessere Betreuung
Betreuungskräfte sind eine tragende Säule der Pflege in Deutschland – in Familien, im häuslichen Umfeld wie auch in der institutionellen Versorgung. Damit ihre Arbeit nachhaltig, menschlich und qualitativ hochwertig bleibt, ist es essenziell, sie nicht allein zu lassen.
Durch gezielte fachliche Schulungen, soziale Integration und professionelle Begleitung lassen sich Stabilität und Sicherheit schaffen – sowohl für die Pflegekraft als auch für die gepflegte Person und deren Angehörige.
Wer heute eine Betreuungskraft beschäftigt oder beschäftigen möchte, sollte sich selbst als Teil eines Systems verstehen, das Pflege mit Verantwortung und Wertschätzung gestaltet. Erste Schritte können sein:
- Kontaktaufnahme mit einer Pflegeberatung der Krankenkasse oder einem Pflegestützpunkt
- Klärung rechtlicher Rahmenbedingungen und Vertragsgestaltung mit qualifizierter Unterstützung
- Nutzung von steuerlichen Entlastungen, etwa über haushaltsnahe Dienstleistungen
- Aufbau eines Netzwerks aus Austausch, Anerkennung und Weiterbildung
Pflege ist mehr als Versorgung – sie ist Beziehung, Verantwortung und Gestaltung. Wer ihr einen tragfähigen Boden bietet, schafft Raum für menschliche Nähe und Würde – in beiden Richtungen.